"Endlich ein Zuhause!" - gelungener Auftakt

Landesinitiative „Endlich ein Zuhause!“ in Siegen-Wittgenstein verbucht erste Erfolge

Siegen. Zu einer Auftaktveranstaltung am 29. März lud der Kreis gemeinsam mit dem Team von „Endlich ein Zuhause!“ ins Lyz, hatte Referentinnen und Referenten eingeladen, die den Teilnehmenden einen sehr guten Einblick in die Wohnungsnotlagen landesweit und speziell im Kreisgebiet Siegen-Wittgenstein boten. Moderiert wurden die informativen 4,5 Stunden von der Beraterin Andrea Dittmann.

Zahlreiche Gäste von sozialen Diensten, Wohnungsgeber, Vertreter aus Verwaltung, Politik und dem Jobcenter folgten mit gespannter Aufmerksamkeit den Vortagenden Axel Steffen (GISS), Lars Stremmel (Sozialplanung Kreis Si-Wi), Lisa Assing (Alternative Lebensräume GmbH). Insbesondere der Vortrag von Lisa Assing mit Geschichten von Menschen in Wohnungslosigkeit, die greifbar wurden, versetzten manche in Verwunderung, weil sie sich das so nicht vorgestellt hatten. Es herrscht noch immer das Bild des alleinstehenden Mannes auf der Parkbank vor. Doch Wohnungsnot hat viele Gesichter. In ihrem Vortrag portraitierte sie die alleinerziehende Mutter von vier Kindern, die nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr auf die Beine kam und die Post nicht mehr geöffnet hatte. Alleinerziehend ist auch ein Vater mit drei Kindern, den die Frau (Alleinverdienerin) verließ und der in große finanzielle Schwierigkeiten kam. Eine Ukrainerin mit Kind und Hund konnte aus einer Gastfamilie in eine Wohnung vermittelt werden. Auch einem Pärchen, das sich aus einem Drogenumfeld lösen wollte, gelang der Schritt in eine eigene Wohnung.

Auf die Heterogenität der Menschen in Wohnungsnotlagen, verwies zuvor bereits Axel Steffen von der GISS. Die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung begleitet und evaluiert die die Landesinitiative wissenschaftlich. Von Wohnungsnot betroffen sind eben nicht nur Menschen ohne Arbeit und mit Suchtproblematik, sondern auch Alleinerziehende und Familien, Menschen, die aus einer Reha entlassen werden oder auch junge Erwachsene. Eine weitere Gruppe sind die der Geflüchteten. Rund 85% der Menschen in Wohnungsnot geraten aufgrund von Mietzahlungsschwierigkeiten und Mietschulden in die Situation, fast 6% der Haushalte (von 1.000 / BMAS 2019) sind von Wohnungslosigkeit bedroht. Bundesweit waren Ende 2022 263.00 Menschen ohne Obdach. Im Kreis Siegen-Wittgenstein lebten 260 Menschen in einer ordnungsrechtlichen Unterbringung. Hinzu kommen die verdeckt Wohnunglosen, die sich irgendwie „durchschlagen“, das sind bundesweit ca. 49.300 und dazu kommen rund 5.500 Kinder mit einem oder beiden Elternteilen. Bis eine Person mit Wohnungsnot im Hilfesystem auftauche, dauere es bis zu 2 Jahre.

Die steigend prekär werdende Situation auf dem hiesigen Wohnungsmarkt konnte Lars Stremmel gut verdeutlichen: Im Kreisgebiet sind 92% des Wohnraums im Privateigentum, nur 17% des Wohnangebots (2019) sind Singlewohneinheiten von unter 60qm. Dem gegenüber steht eine wachsende Zahl an Alleinlebenden. Die Mieten im Kreis sind merklich gestiegen. In 2017 waren noch 5.070 Wohneinheiten mietpreisgebunden, in 2021 waren es lediglich 4.651. Die Prognose für 2035: Nur noch 1.630 Wohneinheiten werden als „sozialer Wohnungsraum“ zur Verfügung stehen. Immer mehr Menschen verbringen immer längere Zeit in Notunterkünften. 

Bis 2030 will die Bundesregierung die Wohnungslosigkeit beenden. Was im Anblick der Datenlage und Prognosen als unmöglich gilt, könnte durch Projekte wie „Endlich ein Zuhause!“ erreichbar scheinen. Die GISS gab als eine Erfolgsbilanz heraus, dass mit „Endlich ein Zuhause!“ schon 3.841 Wohnungsvermittlungen stattgefunden hätten. Lisa Assing verwies auf bereits 10 erfolgreiche Vermittlungen und zwei Wohnraumerhaltungen innerhalb der ersten 6 Monate durch das Projekt im Kreis und das Engagement im Trägerverbund mit Diakonie, Caritas und alf sowie den Wohnungsgebenden, die von Wohnungslosigkeit Betroffenen eine Chance gäben. Dabei werden die Ängste der Vermietenden sehr ernst genommen und die Träger agieren als „Kümmerer“ im Projekt, unterstützen und begleiten, ganz nach Bedarf.

Die bisherige Antwort der Politik und Gesellschaft auf Wohnungslosigkeit ist die Unterbringung in Notunterkünften, auch Prävention gilt als ein Mittel der Wahl, doch dazu müssen Menschen in Notlagen erst einmal im System registriert sein. Wohnbegleitende Hilfen, wie Projekte im Kreis wie „Dazugehören“ (alf in Kooperation mit dem Jobcenter), „Housing First“ (alf), oder jetzt „Endlich ein Zuhause!“, sind noch Randerscheinungen. In diesen stecke das große Potenzial, der drohenden Wohnungsnot beizukommen. Das ginge nur gemeinsam, mit Politik, sozialen Trägern und den Wohnungsgebenden – so ein Appell.

Lisa Assing: „Jede Räumung ist eine zuviel. Wenn man früh genug ansetzt, kann man viel erreichen. Dazu braucht es Netzwerke und jede Menge Aufklärung, damit Vorbehalte bezüglich Menschen in Wohnungsnot abgebaut werden können. Das betrifft Ängste von Wohnungsgebenden, die befürchten, die Klientel würde die Immobilie im Wert reduzieren oder gar das gesamte Wohnumfeld runterziehen. Treffen sie aber auf die Menschen, die wir begleiten und für die wir eine Wohnung suchen, sind sie oft erstaunt, mitfühlend und wollen helfen. Denn es geht hier oft um besondere Schicksale von Familien. Auf der Seite der von Wohnungslosigkeit Bedrohten braucht es auch Aufklärung und Anlaufstellen, wo sie sich ohne Scham melden können, damit eine Räumung vermieden werden kann.“ Auch Axel Steffen verwies in seinem Vortrag darauf, dass Wohnungslosigkeit nicht naturgegeben und unabänderlich sei, sondern eine durch „sozialpolitische Interventionen veränderbare Lebenslage“.

Nach den Beiträgen fand eine Podiumsdiskussion statt. Abfragen bezüglich der Sorgen und Wünsche im Saal begleiteten die Auftaktveranstaltung, in deren Lauf den Teilnehmenden deutlich wurde, dass die Problematik um das knappe Gut Wohnraum sich nicht „naturgegeben“ zu einer gesellschaftlichen Krise auswachsen muss, sondern dass gemeinsam frühzeitig und präventiv gearbeitet werden kann und zwar durch verbesserte Kooperationen und funktionierende Netzwerke, durch Engagement und Aufklärung sowie durch das fallbezogene Erarbeiten von Lösungen, die wohnungssuchende Menschen in prekärer Lage und Wohnungsgebende zusammenbringt.

Lisa Assing: „Bezüglich dieser möglichen Lösungen wird im nächsten Schritt eine Bedarfsanalyse in Bezug zur Wohnraumproblematik erfolgen, auch die Wohnungswirtschaft wird befragt, um genauer zu eruieren, was gebraucht wird. Uns wurde im Laufe der Veranstaltung nochmal bewusst, wie sich eine Erwartungshaltung positiv verändern kann und ich bin zuversichtlich, dass wir die Stimmung von heute, dass gemeinsam viel möglich ist, weitergeben können.“

 

Hintergrundinformationen:

„Endlich ein Zuhause!“ – mit finanzieller Unterstützung des Landes NRW und der EU, bietet Beratung, Begleitung, Perspektiven, für Menschen in Wohnungsnot. Es geht um Wohnraumerhalt, Wohnungsvermittlung, auch darum, Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Der Trägerverbund aus Mitarbeitenden der Alternative Lebensräume GmbH, dem Caritasverband Siegen-Wittgenstein e.V. und der Diakonie Soziale Dienste GmbH, mit fachlicher und persönlicher Erfahrung für Hilfe in Wohnungsnotlagen, werden als „Kümmerer“ eingesetzt, beraten, begleiten und unterstützen betroffene Menschen. Neu an dieser Landesinitiative zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit ist, dass hier erstmals zwei Immobilienmaklerinnen mitwirken. Sie setzen sich für Menschen ein, einen Zugang zum Wohnungsmarkt zu bekommen. Sie sind Ansprechpartnerinnen für Wohnungsgebende und vermittelt zwischen Vermietenden und Mietenden. Das Projekt möchte über Wohnraumproblematik aufklären und setzt sich für die Schaffung eines wohnbezogenen Netzwerkes ein. Kontakt: Lisa Assing, Alternative Lebensräume GmbH, 0271.3174735, endlich-ein-zuhause@alf-siegen.de

Auf dem Foto von links nach rechts: Achim Krugmann (Diakonie Soziale Dienste), Christin Schilling und Iris Dittmann (Caritas), von alf Alexander Rode und Lisa Assing, vom Kreis Lars Stremmel, Axel Steffen (GISS Bremen), Isabell Trocha (Immobilienmaklerin Diakonie) und Moderatorin Andrea Dittmann.

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