Fachtagung zum Thema "erweiterte Betreuung" lieferte wichtige Impulse

Zwischen Armut und Bullerbü: Alternative Lebensräume GmbH erarbeitete im Rahmen einer Fachtagung Ansätze, wie die Vereinbarkeit von Familie, Betreuung & Beruf gut gelingen kann

Die gemeinnützige Trägerin Alternative Lebensräume GmbH, die drei Kitas und derzeit 12 Großtagespflegestellen (KiTS) betreibt, veranstaltete hausintern für die rund 70 Mitarbeiterinnen und vier Mitarbeiter in der Kinderbetreuung eine Fachtagung, rund um das Thema der erweiterten und flexiblen Betreuung. Unterstützung erhielten sie von Jenny Kühne, die die am Bundesprogramm „KitaPlus“ teilnehmenden Einrichtungen der Alternative Lebensräume GmbH als Projektberaterin berät. 

  • Mit dem Bundesprogramm „KitaPlus: Weil gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, soll Eltern durch eine Erweiterung der Öffnungszeiten in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert werden. Von Januar 2016 bis Dezember 2018 werden Kindertagesstätten sowie Kindertagespflegepersonen gefördert, die ihre Betreuungszeiten auf der Grundlage eines bedarfsgerechten Konzeptes erweitern. Im Mittelpunkt des Programmes steht das Anliegen, qualitativ gute Betreuung für Kinder zu Zeiten anzubieten, die den Bedürfnissen und Lebenslagen der Familien entsprechen. Es geht dabei nicht um eine Erweiterung des zeitlichen Umfangs der außerfamiliären Betreuung für einzelne Kinder, sondern um die Unterstützung von Familien durch passgenaue Betreuungsangebote mit guter pädagogischer Qualität. 

Sonja Becker, Geschäftsführerin der Alternative Lebensräume GmbH, stieg in das durchaus von kontroversen Emotionen begleitete Thema der erweiterten Betreuung ein und formulierte das Ziel der Fachtagung: Möglichkeiten zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten. Denn gerade in dem Segment, in welchem die Angebote insbesondere berufstätige Eltern unterstützen sollen, arbeiten zumeist Frauen, die ihr eigenes Privatleben den beruflichen Belangen in besonderem Maße anpassen müssen.

Besonders im Fokus stand darum die Frage „Warum ist diese Aufgabe so wichtig? Sonja Becker machte in Ihrem Vortrag rasch deutlich, dass die Armut von Kindern in Deutschland steigt und griff auf aktuelle Zahlen zurück, wonach lt. Sozialverband VDK 4,4 Mio. Kinder in Armut leben. „Im Kreis Siegen-Wittgenstein hat sich die Kinderarmut in den letzten vier Jahren um 4 % erhöht. Dies waren laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung 12,4 % der unter 18-jährigen im Jahr 2017. Die Bundesagentur für Arbeit spricht sogar von 13,4 Prozent. Kreisweit sind dies mittlerweile 5984 Kinder und Jugendliche (Bundesagentur für Arbeit).“

Kinder aus ärmeren Haushalten haben nachgewiesenermaßen einen erschwerten Zugang zu Bildungsangeboten. Es fehlt an existentiellen Grundlagen wie alters- und wettergerechte Kleidung, gesundes und ausreichendes Essen, Zugang zu Förderangeboten und vielem mehr. Den meisten Kindern ist dabei etwas gemein, nämlich die Arbeitslosigkeit der Eltern.

Auch im Sozialbericht Sozialmonitoring der Stadt Siegen mit einem Schwerpunkt zum Thema Armut und Risikofaktoren (2017) wurde  dieses Hauptmerkmal genannt: Arbeitslosigkeit der Eltern. Alleinerziehende haben dabei ein erhöhtes Risiko, in Armut abzurutschen. Jede 3. Ehe wird geschieden und Paare trennen sich vermehrt innerhalb der ersten beiden Lebensjahre des Kindes. Die Kinder bleiben zumeist bei der Mutter. 43% der Kinder erwerbsloser Eltern leben somit in einem Alleinerziehenden-Haushalt.

Obwohl Mädchen und Frauen in der Bildung aufgeholt haben, teils auch bessere Abschlüsse vorlegen, können sich die Hälfte der Frauen nach der Familienphase nicht mehr selbst finanziell unterhalten. Sie hängen fest in Teilzeit oder geringfügigen Beschäftigungen. Um diese Negativspirale aufzuhalten, sei es notwendig, dass Betreuungsangebote für Kinder so ausgerichtet werden, dass sie flexibel sind, damit diese ohne Mehrbetreuung des Kindes dennoch Berufstätigkeit und Familie gleichermaßen berücksichtigen. Denn Kinder erhielten dann besonders gute Startchancen, wenn sowohl der familiäre wie auch finanzielle Hintergrund stimme, so Sonja Becker.

Laut Medienberichten aus der Region sind in Siegen und Kreuztal Kinder vermehrt von Armut betroffen, gefolgt von Neunkirchen und Hilchenbach. In drei Kommunen bietet das Unternehmen Alternative Lebensräume GmbH Einrichtungen mit verlängernden Öffnungszeiten an: Kita Lillipuz in Kooperation mit KiTS Raupennest in Siegen, die Kita Kasimir in Kreuztal sowie ein KiTS-Standort in Olpe, gefördert durch das Bundesprogramm KitaPlus. Die neu eröffnete Kita in Hilchenbach ermöglicht schon jetzt eine Betreuung ab 7:00 Uhr.

Jenny Kühne konnte aus ihrer Erfahrung berichten, dass die Eltern nicht das maximale Maß an gebotener Betreuung ausschöpfen, sie selbst sich die Entscheidung nicht leicht machten, ihr Kind beispielsweise auch in den frühen Abendstunden oder an einem Samstag betreuen zu lassen. Auch beleuchtet Jenny Kühne in ihrem Beitrag die Notwendigkeit der erweiterten Betreuung für Alleinerziehende und Schichtarbeiter*innen. Aus dem Dossier Müttererwerbstätigkeit 2014 berichtete Jenny Kühne, dass 2/3 der Mütter gerne früher wieder ins Berufsleben zurückgekehrt wären, wenn die Betreuung gesichert, die Arbeitszeit weniger starr gewesen wäre und der Partner sie mehr unterstützt hätte.

Lea Marie Schmidt, Mitarbeiterin der Kita Kasimir und Kita Hannes schilderte als Erzieherin aus ihrer und der Sicht ihres Teams die Einführung der erweiterten Betreuung. Dazu gehörte auch das vermehrte Aufbauen von Verständnis für die Not der Mütter. Sie sind zwischen den Stühlen von Betreuung und Beruf, zwischen Vorverurteilung und Notwendigkeit und auch dem Wunsch wieder erwerbstätig zu sein und sie seien alles andere als leichtfertig.

Im Laufe der Tagung wurde in Arbeitsgruppen erörtert, wie es einer Gesellschaft und insbesondere der Trägerin und ihren Mitarbeiter*innen, die auch Eltern sind, gelingen kann, die mit der Betreuung an sie herangetragenen Anforderungen gut und verbindlich zu leisten. Dabei wurde insgesamt die Notwendigkeit dieser erweiterten Betreuung deutlich, damit einhergehend ein breiteres Verständnis für Eltern, die den Spagat zwischen „Bullerbü“ und Armutsfalle machen müssen und ganz klar: Das Wohl des Kindes steht im absoluten Vordergrund. Sonja Becker fasst die Ergebnisse der KiTS- und Kitas-Teams aus Siegerland, Sauerland und dem Bergischen, der Trägerin zusammen: „Die Teams haben folgende Kriterien für ihre Arbeit vor Ort, basierend auf den eigenen Erfahrungen, benannt: Damit ein Kind gut aufwachsen kann, benötigt es sowohl einen familiären Hintergrund mit finanzieller Absicherung, um gute Startmöglichkeiten zu erhalten, aber auch verbindliche Betreuungszeiten, die einen festen Rahmen mit sicheren Ritualen bieten. Übergeordnet braucht es transparente Rahmenbedingungen und Strukturen ebenso einen Personalschlüssel, der den Erweiterungen gerecht wird, darin eingebunden auch eine entsprechende Vergütung.“ Von Arbeitgebern der Region, die Eltern von kleinen Kindern beschäftigen, erfordert dies eine frühzeitige Dienstplangestaltung und eine verbindliche Einhaltung dessen, damit die Betreuung in diesen Zeiten abgesichert werden kann. Da in der Betreuung überwiegend Frauen und Mütter tätig sind, benötigen auch diese Stabilität und Sicherheit und einen Teamgeist, der dabei unterstützt.

Einige Ergebnisse deckten sich mit der Erfahrung von Lea Marie Schmidt: „Die Einführung der erweiterten Betreuung hat ab dem Punkt reibungsloser funktioniert, wo das ganze Team involviert war, man mit Eltern eine Vereinbarung abgeschlossen hat, die mehr Planungssicherheit bot und darauf verbindlichere Dienstpläne machen konnte.

Ein nigerianisches Sprichwort, beinahe schon in aller Munde, besagt, dass es ein ganzes Dorf brauche, um ein Kind großzuziehen. Es braucht immer und auf jeden Fall Verständnis und Miteinander. Dafür wollen sich Alternative Lebensräume GmbH auch weiterhin stark machen und daran weiterarbeiten, wenn die Förderung aus dem Bundesprogramm „KitaPlus“ ausläuft.

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